Jan Weiler: Der Markisenmann

ZUM INHALT

Enttäuschung ist bloß das Ergebnis zu großer Erwartungen. Sagt man so. Dabei waren meine Erwartungen nicht einmal groß, eher diffus. Sie zu unterlaufen, war für Ronald Papen ein ziemliches Kunststück, wenn man bedenkt, dass ich gerade von meiner Familie abgeschoben worden war und einem völlig ungewissen Sommer entgegensah. Sehr viel schlimmer, als die vergangenen Wochen verlaufen waren, konnte mein restliches Leben gar nicht mehr werden. Von großen Erwartungen war also wirklich kaum die Rede. Und dann so was.“ (S. 35)

Kim ist 15 und lebt mit ihrer Mutter, ihrem Stiefvater und ihrem Halbbruder in einem Kölner Villenviertel. An sich wächst sie behütet auf, mal davon abgesehen, dass sich niemand aus ihrer Familie sonderlich für sie interessiert. Wann immer sie eine besondere Leistung feiern könnte, steht ihr Stiefbruder im Mittelpunkt. Kim’s Vernachlässigung innerhalb der Familie wird immer deutlicher, sodass sie anfängt zu klauen und zu rebellieren. Auch ihre schulischen Leistungen nehmen rapide ab. Eines Tages, bei einer Grillfeier im Garten, kommt es schließlich zu einer Kurzschlussreaktion und einem Vorfall, bei welchem ihr Stiefbruder verletzt wird. Daraufhin beschließen ihre Mutter und ihr Stiefvater, dass sie die Sommerferien bei ihrem leiblichen Vater verbringen soll. Weder kennt sie diesen, noch hat sie ihn jemals gesehen. Alles was sie hat ist eine kleine Fotografie von ihm und ihrer Mutter aus dem Urlaub in der 80er Jahren. Und dass ihr Stiefvater ihn des Öfteren, wenn er ihn erwähnt, den „feinen Herrn Papen“ nennt. So wird Kim kurzerhand in den Zug nach Duisburg verfrachtet, zu einem Mann, den sie weder kennt noch weiß, ob sie ihn mögen wird.

Ronald Papen, ein schmächtiger und unauffälliger Mann, wohnt in einer schäbigen Fabrikhalle, gleich neben einer Autowerkstatt, einem Recycling Hof und Rosi’s Pilstreff. Nach der Wende hatte er den kompletten Stoff einer Markisenfabrik aus DDR-Zeiten übernommen und heute lebt er davon, mit seinem Auto durch’s Ruhrgebiet zu fahren uns seine Markisen mit dem schlimmsten Retromustern an Türen zu Verkaufen. Anfangs noch skeptisch beginnt sie irgenwann, ihn auf seinen Touren zu begleiten. Zwischen Brawo Hits und Schlager, Scooter, Juli und den Puhdys, Manfred Krug und Günther Fischer entsteht schon bald eine Freundschaft zwischen Vater und Tochter und vor allem, wahnwitzige Verkaufsstrategien, um Papens Markisenverkauf voranzutreiben. Die sechs gemeinsamen Wochen führen schließlich dazu, dass Kim nicht nur mehr über ihren leiblichen Vater kennenlernt, sondern auch über das alles über Ruhrgebiet, das Leben, sich selbst und die Vergangenheit ihrer Familie.  

BIBLIOGRAFISCHE ANGABEN

Jan Weiler: Der Markisenmann

Heyne Verlag

Gebunden

336 Seiten

ISBN: 9783453273771

Preis: 22,00€

MEINE MEINUNG

Ich mochte Der Markisenmann von Jan Weiler von der ersten Seite an. Dieses fantastische Buch strotzt nur so vor Sarkasmus und Humor und ist gleichzeitig, eine warmherzige Geschichte, die nicht nur durch ihre leicht skurrilen Charaktere lebt, sondern die ebenso witzig wie humorvoll die Schwierigkeiten des Erwachsenwerdens schildert.

Die Zeit mit ihrem Vater entwickelt sich für Kim zunehmend zu einer Zeit der unterschwelliger Weisheiten, die er mit ihr teilt. Nicht nur über Verantwortung für das eigene Handeln und die Wichtigkeit immer aufrichtig zu sein, sondern auch über das Leben selbst. Doch auch hier kommt die wundervoll skurrile Art Ronald Papen’s durch, denn diese von ihm formulierten Lebensweisheiten haben mich zahlreich sowohl zum Nachdenken angeregt, als auch zum lachen gebracht. Ein Beispiel:

„Eine Wurst ist die ehrliche Antwort auf den mittäglichen Hunger. Sie ist quasi immer gleich groß und kostet überall dasselbe. Und: Man kann bei der Zubereitung am wenigsten falsch machen. Merke dir: Erstens immer Akropolis und zweitens immer Wurst.“ (S. 123)

Durch seine leicht schrullige Art schafft Ronald Papen etwas, was niemand erwartet hätte: Er erzieht Kim, ohne zu erziehen, da er ja auch gar nicht weiß, wie das geht. Ohne es zu ahnen, macht er genau das Richtige und ist dabei genau das, was seine Tochter am meisten braucht, und was ihr in ihrem bisherigen Leben immer gefehlt hat.

Als Fazit bleibt mir nur ein Zitat aus dem Buch selbst: „≫Unerhört≪ konnte bei ihm [Anmd. Verf.: Ronald Papen] für etwas ausgesprochen Gutes, aber auch für etwas sehr Schlimmes stehen. Dill in der Bratwurst? Unerhört. Stau auf der A40? Unerhört. Schon wieder neues Wasser in der Pfütze? Unerhört. Sieben Unbestückte an einem Haus? Unerhört.“ (S. 227)

Getreu den Worten von Ronald Papen selbst bleibt nur zu sagen, dieses Buch ist schlicht unerhört! Unerhört witzig, unerhört traurig, unerhört tiefsinnig, unerhört fantastisch und unerhört mitreisend. Es ist nicht nur eine schichtweg hervorragende Coming-Of-Age-Geschichte, es ist eine zutiefst schöne Geschichte eines Sommers über Freundschaft und Selbstfindung, über Liebe und Verrat, über Schuld und Vergebung und über Freundlichkeit und Mitgefühl.

2 Antworten zu „Jan Weiler: Der Markisenmann”.

  1. Das klingt unerhört gut. Kommt auf die Einkaufsliste. Danke für den Tipp!

    Gefällt 1 Person

    1. Ja unbedingt! Ich hatte darüber einen Beitrag im SWR gehört und musste es mir auch sofort speichern! Ich freue mich auf deine Meinung, wenn du es gelesen hast 🙂

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