
ZUM INHALT
„Trotz der Hitze, des Geruchs des gärenden Obstes, der Stimmen der radfahrenden und badenden Tagesgäste, die von den Landstraßen und Seeufern herangeweht kamen, hatte Maserati das Gefühl, sich inmitten eines Wintereinbruchs zu befinden. Während bei anderen die Sonnenmilch sich mit Schweiß mischte, fühlte sich Maserati innerlich wie tiefgefroren. Sie sehnte sich nach den Monaten, in denen jeder Atemzug eine Dampfwolke in der eisigen Luft blies, in der sie die Gaststätte nur an den Wochenenden und in den Winterferien öffnen musste, auch wenn es bedeutete, dass sie mehrmals am Tag matschige Abdrücke von Winterstiefeln vom Boden wischen und dabei die Muster der vereisten Schneereste aus den Sohlenreliefs bestaunen musste. Im Winter war alles leiser, die Leute lauschten mehr in sich hinein, pusteten in ihren frisch aufgebrühten Tee und waren leichter auszuhalten.“ (S. 129-130)
Die Geschichte handelt von Maserati, die bei ihrer Großmutter aufwächst und mit der sie eine kleine Gaststätte betreibt. Sie verbringt ihre Tage damit, die Gäste zu bedienen und darauf zu warten, endlich volljährig zu werden. Bis eines Tages eine alte Villa im Dorf an eine reiche Familie verkauft wird. Schnell freundet sie sich mit den beiden Jungen an, die dort mit eingezogen sind, Caspar und Theo. Doch so verwirrend wie die beiden sich verhalten, so verwirrt ist Maserati irgendwann über ihre eigenen Gefühle. Empfindet sie möglicherweise für einen der beiden mehr? Und auch Maserati stellt die beiden vor zahlreiche Fragen. Weshalb besitzt sie kein Smartphone? Wieso versteckt sie sich vor der Welt? Wo sind eigentlich ihre Eltern? Und weshalb ist ihr Gesicht offenbar auf dem Cover einer alten Schallplatte, die Theo findet? Und schließlich ist da auch noch Georg, den Maserati schon ewig kennt und der immer für sie da ist. Ein Buch voller Gefühlschaos und Geheimnisse zweier Familien.
BIBLIOGRAFISCHE ANGABEN
Alina Bronsky: Schallplattensommer
dtv Verlag
Gebunden
192 Seiten
ISBN: 9783423763707
Preis: 15,00€
MEINE MEINUNG
Ich liebe den Schreibstil von Alina Bronsky. Das Buch besteht nahezu aus langen Schachtelsätzen. Normalerweise ist es ja so, dass man am Ende eines Solchen nicht mehr weiß, wie er begonnen hat. Doch nicht hier. Die Autorin schafft es wunderbar, diese Sätze voller Gefühl und sich überschneidender Gedanken zu füllen, dass man das Gefühl hat, sich im Kopf der handelnden Personen zu befinden und diese selbst zu denken. Darüber hinaus ist die Sprache wie schon bei „Barbara stirbt nicht“ häufig poetisch und gefüllt mit zahlreichen Metaphern, was vielleicht nicht jedem gefällt, doch was ich persönlich sehr gerne mag.
Die Geschichte selbst hat mich oftmals verwirrt zurück gelassen. Zahlreiche Male konnte ich nicht nachvollziehen, wieso sich Maserati benimmt wie sie sich benimmt und auch Theo und Caspars Verhalten wirft immer wieder Fragen auf. Doch im Laufe der Handlung wird Maserati‘s Handeln klarer und ich kann nur sagen, am Ende ergibt alles ein großes Ganzes. Darüber hinaus mochte ich Maserati als Protagonistin sehr gerne. Ihre Art zu denken und die Gedanken, häufig voller Sarkasmus, nur zu denken aber nicht auszusprechen. Ein Charakterzug, mit dem ich mich gut identifizieren kann und der mir sehr gut gefällt.
Alina Bronsky schafft es gekonnt, die Gefühle einer Heranwachsenden zu schildern und auf nahezu jeder Seite, die Erinnerungen an die zahlreichen Sommer der Jugend in ihren Lesenden zu wecken. Ob durch Gerüche oder Gefühle, die sie sprachlich gekonnt schildert. Man riecht nahezu die Gerüche des Sommers auf dem Land. Die Kirschen auf dem Kirschenfeld, die Maserati reif und saftig erntet, die gefüllten Teigtaschen, die sie tagtäglich in der Gaststätte serviert oder die des Wassers vom See, in welchem sie jeden Morgen baden geht. Und natürlich, findet sich auch wieder Alina Bronskys ganz eigener Humor zwischen den Zeilen wieder. Normalerweise bin ich der Meinung, oftmals zu ahnen wie die Story hinter einer Geschichte aussieht und zunächst noch Undurchschaubares relativ schnell zu erahnen. Doch diese Geschichte bietet bei allen Personen so vieles mehr, das gut versteckt unter der Oberfläche liegt und erst nach und nach zum Vorschein kommt.
Ein wunderbares melancholisches Buch über Freundschaft, Liebe und Familie und darüber hinaus, ein geheimnisvolles Vierwirrspiel. Spannend und tiefsinnig bis zur letzten Seite.
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